Der Tod als steter Begleiter
Kein Leben ohne Tod – kein Tod ohne Leben
Nach der Geburt jedes Menschen ist das Sicherste das ihm einmal, irgendwann im Laufe des Lebens wiederfahren wird, der Tod. Was dazwischen passiert, weiß man nicht, dass man einmal sterben muss ist todsichere Gewissheit. Manches Wort in unserem Sprachgebrauch nimmt den Tod mitten hinein in den Sprachschatz des täglichen Lebens. Etwas ist, todbleich, todelend, todernst, todlangweilig, todkrank, todsicher, todunglücklich und es gibt die Todessehnsucht, die Todesanzeige, die Todesahnung, das Todesopfer, den Todeskampf, die Todeszelle, die Todessstrafe, die Todesverachtung, den Todfeind oder die Todessünde.
Der Tod hat sogar Namen. Der „Sensenmann oder Schnitter“, welcher unterschiedslos alle Kräuter und Blumen abmäht, ohne Ansehen von Glanz, Kraft und Tugend. Manche sprechen von „Gevatter Tod“ oder die etwas seltener verwendete Bezeichnung von „Schlafes Bruder“. Der bayrische Tod wird als „Boandlkramer“ bezeichnet. Er setzt sich aus dem Wort „Boanl“ für Gebein und Knochen und dem Wort Kramer, Händler, zusammen. Der „Dengelgeist „ ist eine alemannische Sagengestalt und wird als Sensenmann und bärtiger Greis dargestellt. Der Dengelgeist sitzt auf dem Friedhof und schärft, dengelt dort seine Sense, um die zum Tode bestimmten niederzumähen. In Mexiko, Kuba und aus anderen lateinamerikanischen Orten kennt man „Santa Muerte“.
Als jagender Mensch weiß man, dass das Auslöschen von Leben ein Teil des Nachstellens von Wildtieren ist. Ohne den Tod der Tiere gäbe es keine Fleischnutzung, keine Verarbeitung der Pelze, Öl, Schmalz und Talg oder ein sich Aneignen von Erinnerungsstücken, die auch der Jäger Trophäen nennt. Der Tötungsakt bei der Erlegung mit einer Schusswaffe dauert im Idealfall, pro erlegtem Stück Wild, nicht einmal eine Sekunde, ist daher der am geringsten Zeit einnehmende Teil jagdlicher Handlungen während eines Kalenderjahres und dennoch derjenige, der am emotionalsten für den Einzeljäger selbst, aber auch nach außen hin, in eine nicht jagende Bevölkerung, reflektiert wird. Der Schuss auf eine Wildscheibe am Schießplatz ist für die meisten Jäger weit weniger aufregend, als beispielsweise die Erlegung eines Stück Schalenwildes oder Fuchses in freier Wildbahn. Hier wird auf ein lebendes Ziel vorerst einmal gezielt, dazu kommt die Aufregung bei der Jagd selbst, letztendlich die Anspannung die beim Zielen und der eigentlichen Schussabgabe passiert. Dabei spielt das Bewusstsein, Leben auszulöschen, eine wesentliche Rolle.
Bei der Jagd ist die Einstellung zum Tod und dem Töten eine immens wichtige. Diese geistige Haltung beginnt bereits beim Handgriff zur Waffe und endet im Moment der Schussabgabe. Die Tagesverfassung des jeweiligen Jägers ist oft unterschiedlich. Nicht jeder Tag ist aus der mentalen Sicht des einzelnen Jägers auch dazu geeignet Beute zu machen, demnach manchmal total ungeeignet ein Wildtier zu erlegen. Halbherziges töten bedeutet unschlüssig im Geiste zu sein ein Tier auch wirklich töten zu wollen. Daraus können Fehlschüsse oder das Anbleien von Tieren resultieren. Tagesbedingt durchlebte Emotionen beeinflussen den jagenden Menschen: Daher ist zwar jeder Tag ein guter Tag sich bei der Jagd zu entspannen, geistig abzuschalten oder Tiere zu beobachten, jedoch nicht jeder Tag ist auch dazu geeignet Tiere zu erlegen und dabei zu töten.
Das „Nichterlegen „ und ohne Beute nach Hause zu kommen, schließt jedoch nicht aus, dass man mit einem schönen Jagderlebnis heimkehren darf und wiederum, ohne Schussabgabe durch längere Beobachtung etwas für seine Jägerseele dazulernen durfte. Das Wort Fehlpirsch gibt es daher nicht. Jeder Mensch, der offenen Auges durch die Natur geht, wird immer wieder mit Erlebnissen und Erfahrungen bereichert werden.
Es gibt die verschiedensten Facetten und Konstellationen die vor jeder Schussabgabe passieren können. Das Stück zieht ein, springt ab, stellt sich minutenlang nicht breit, wird von einem anderen Rudelmitglied verdeckt, kommt nicht aus dem Mondschatten, … In diesen Momenten, kurz bevor man den Schuss abgibt, braucht es den unbedingten Willen das Tier auch erfolgreich und ohne dabei Leid anzurichten, erbeuten zu wollen. Ein halbherziges und unkonzentriertes „geht eh“ oder „ wird schon passen“ führt oft zum Anbleien und stundenlangen Nachsuchen.
Man muss dabei auch lernen, den inneren Schweinehund, der wie ein kleiner Teufel auf der Schulter sitzt und in das Ohr flüstert: „ schieß doch, geht ja eh, passt schon, schieß doch…“ zum Schweigen zu bringen!
Entscheidend ist in diesem Augenblick, vor allem der feste Wille das Tier auch unbedingt erbeuten zu wollen und die eigene, dabei getroffene Entscheidung, dass der Moment der Schussabgabe für den Schützen und das Wildtier selbst, auch der beste und richtige ist. Die totale Fokussierung auf den „Tötungsmoment“ und das visuelle Vorstellen können, wie das Stück nach dem Schuss tödlich getroffen zusammenbricht, unterstützen einen erfolgreichen Erlegungsvorgang. Man könnte diesen Prozess mit einem Slalomläufer vergleichen, der vor der Fahrt durch den enggesteckten Stangenwald bei einem Slalom, kurz vor dem Start die Strecke in Gedanken abfährt, jedes Tor mit geschlossenen Augen und einer Handbewegung an visualisiert und dann mit dem Aufleuchten der Laufbestzeit die Zeitnehmung im Ziel auslöst. Auch eine Fußballmannschaft geht gegen einen stärkeren Gegner nicht mit dem Gedanken auf das Feld 10:0 zu verlieren, sondern muss im Vorfeld durch positive Gedanken auf das bevorstehende Spiel, versuchen den Gegner zu besiegen. Genau aus dieser Einstellung heraus konnte bereits mancher David den jeweiligen Goliath besiegen.
Gestört und beeinflusst können solche Momente der Konzentration durch das Einreden eines unprofessionellen und vor allem ungeduldigen Jagd- oder Standbegleiters bzw. Pirschführers werden. Witterungssituationen wirken sich ebenfalls auf die Psyche des Schützen aus. Einfallende und reflektierende Sonnenbestrahlung, dichtes Schneetreiben, Regen, Wind oder Nebel erschweren eine präzise Schussabgabe, erhöhen den Selbstzweifel und die Unsicherheit des Schützen an einer erfolgreichen Erlegung. Da braucht es auch die Entschlossenheit und den Mut des Jägers ein klares „NEIN“ zu dieser Situation auszusprechen und sein Glück ein andermal zu versuchen.
All diese Gedanken, vor dem Betätigen des Abzuges, spielen sich in Sekundenschnelle ab, lassen sich aber gut antrainieren und in der Jagdpraxis einsetzen. Zu diesen mentalen Fixpunkten bei der Jagd, kommen noch weitere Parameter, die einen sicheren Schuss entscheidend beeinflussen können. Dabei spielt die Stabilität , Sicherheit und Festigkeit der Unterlage bei der Gewehrauflage, das Vertrauen zur eingeschossenen Waffe und seinen eigenen antrainierten und in der Jagdpraxis wiederholt eingesetzten Schießkünsten eine wesentliche Rolle. Letztendlich entscheidet die Gewissheit das Stück „todsicher“ angesprochen zu haben und auch die Sicherheit, das Stück nach einem tödlichem Schuss aus dem Gelände bringen und liefern zu können, in dem es vermutlich zu liegen kommt, über ein Auslösen des Schusses.
Der Tod ist Teil des „Deals“ überhaupt am Leben teilnehmen zu dürfen. Wir können den Tod zwar verdrängen, ihn aber in keiner Minute unseres Lebens abstreiten oder verleugnen. Zumeist erinnert er uns in den unwirklichsten Momenten unseres Lebens an seine stete Nachbarschaft, wenn er uns Familienmitglieder oder Freunde entreißt. Wenn man sich aber rechtzeitig und immer wieder, so wie das auch bei der Jagd passiert, mit dem Tod beschäftigen muss, dann bleibt er zwar respekteinflößend, verliert aber an seiner Mächtigkeit. Gerade als Menschen die in der Natur jagend unterwegs sind, dürfen wir immer wieder erkennen, welche Wichtigkeit der Tod bei der Erneuerung der Vegetation über das Jahr hinweg einnimmt. Blätter verwelken und werden zu nährstoffreichem Humus, der wiederum den nachsprießenden Pflanzen Leben bietet. Tier und Menschenkörper verwesen und werden letztendlich wiederum zu Erde. Somit gibt es kein Leben ohne Tod und auch keinen Tod ohne Leben. Es ist eine Frage wie wir als Menschen damit umgehen und wie weit wir den Tod als etwas Unausweichliches respektieren.
In unserer „Überflussgesellschaft“ und dem sehr sorglosen Umgang mit wertvollen Lebensmitteln und der nicht mehr bestehenden Notwendigkeit sich sein Schnitzel selbst erjagen zu müssen, wird der Tod von den meisten Menschen weggeblendet und „eingeparkt“. Das bedeutet, dass zwar das kleine Rehkitz als solches wahrgenommen wird, man auch bei den herbstlichen Wildbretwochen gerne zartes Wildfleisch konsumieren möchte, jedoch die Erlegung, das Aufbrechen und die Verarbeitung zu einem wertvollem Lebensmittel aus der Natur, gerne verdrängt wird.
Das Bild des bemühten, möglichst schnell tötenden Jägers wird in vielen, auf Youtube gestellten Filmen, hart auf die Probe gestellt. Jahrelange Öffentlichkeitsarbeit der Jagdverbände wird somit in Sekundenschnelle zunichte gemacht und in den Schmutz getreten. Dabei ist es für den konsumierenden User nicht möglich zwischen einem getrieben Gattertier oder einer in freier Wildbahn gestreckten Sau zu unterscheiden. Wildkörper türmen sich aufeinander und es wird geprahlt mit großen Strecken und noch größeren Trophäen. Dabei spielt es auch keine Rolle ob ein italienischer Vogeljäger seine Singvogelstrecke vorzeigt oder rumänische Gatterhirsche neben türkischen Haustauben sterben.
Selten wird in diesen Filmen das große Rundum neben der Erlegung gezeigt, sondern fast ausschließlich bei der Mehrheit der Filme sind es Sequenzen die nur mit der unmittelbaren Erlegung der Tiere zu tun haben. Zumeist werden dabei auch noch mehrere Schüsse auf ein und dasselbe Tier abgegeben und das Bild des schießwütigen, Trophäen und Streckengeilen Jägers vermittelt. Wenn man bedenkt dass auf Youtube mehrere Milliarden Menschen Zugriff haben, muss man kein Prophet sein, um die Folgen solch jagdlicher Auswüchse für die Zukunft anzudenken und anzusprechen.
Es liegt an jedem einzelnen Jäger, wie er das Thema Tod und Töten bei der Jagd, mit einer immer naturferneren Bevölkerung, kommuniziert und vorlebt. Beginnen müssen wir jedoch bei uns selbst, bereits vor der Abgabe des Schusses…